von Teresa Heidegger
Mein Sohn Marco ist süße vier Jahre und ist fast immer gut gelaunt, außer wenn es in den Kindergarten soll. Den mag er nicht. Und ich irgendwie auch nicht. Also der Kindergarten an sich ist in Ordnung, die machen da wirklich ganz tolle Sachen mit den Kindern, sind durchgängig draußen, singen, machen Feuer, wenig Kinder in der Gruppe, also im Prinzip alles wunderbar.
Aber die Situation, wenn ich ihn bringe, ist super unangenehm. Die Kindergärtnerin, Beatrice, hat mich schon nach dem ersten Tag gescannt als Mami, die ihr Kind nicht loslassen kann. Und es ist wirklich so, dass Marco sich in diesem Kindergarten partout nicht von mir lösen will. Sobald ich signalisiere, dass ich mich jetzt verabschiede, klammert er sich an mein Bein wie ein Ertrinkender an den rettenden Baumpfahl und lässt nicht mehr mit sich reden. Beatrice hat mir erklärt, dass das an mir läge, dass ich ihn unbewusst an mich binden würde und scheinbar etwas draus zöge, dass ich so gebraucht werde. „Vielleicht solltest du dich wieder mehr deinen beruflichen Visionen zuwenden, als deinen Fokus immer bei ihm zu haben“. Na dankeschön. Sie lächelt mich dabei so freundlich und unschuldig an, so dass ich ihr leider für diese Unverschämtheit keine reinhauen konnte. Aber zumindest ausgemalt habe ich es mir.
Naja irgendwie hat sie auch recht. Du hast ihm scheinbar zu einem Weichei gemacht der mit vier(!!!) Jahren noch an dir klebt wie ein Zweijähriger.

War klar, dass sich diese ekelhafte innere Stimme, die mich auf Ewigkeiten fertig machen möchte, wieder zu Wort meldet. Doch ich ignoriere sie einfach. Denn heute werde ich allen zeigen, dass wir auch anders können.
Ich habe gestern abend lange mit Marco gesprochen und ihm erklärt, dass dieser Kindergarten einfach keine Mamis mit dabei haben möchte, zumindest nicht mehr jetzt, wo wir ja schon einige Tage dort sind und er alle kennt. Er hat mir hoch und heilig versprochen, dass er mich nach dem Anfangslied gehen lassen wird.
Wir laufen zum Kindergarten und Beatrice steht schon am Feuer und ruft von dort „hey Marco guten Morgen!“ und winkt ihn freundlich zu sich. Sie ist wirklich so nett. Ich entschuldige mich innerlich bei ihr für meine gestrige Schlägerei in Gedanken, sie will mir sicher wirklich einfach nur helfen.
Marco schaut schüchtern zu mir, ich nicke ihm aufmunternd zu, „na geh schon!“, doch er zögert. Ich spüre meine Enttäuschung, doch lasse mir nichts anmerken: „Ich komme noch mit“ beruhige ich ihn. Da läuft er los. Ich schlendere extra langsam hinterher, um ihm mit Beatrice etwas Zeit zu lassen. Sie sind im schönen Kontakt, sie erklärt ihm irgendwas am Feuer, er wirkt sehr interessiert. Bis ich komme. Sofort ist seine Aufmerksamkeit nun wieder bei mir. Mist.
Sie schaut mich an und ich weiß genau was sie denkt „wieso kommst du denn nun überhaupt noch mit? Kannst du ihn nicht einfach wie alle anderen an der Pforte verabschieden?“ „Ich bleibe nur zum Anfangslied und dann gehe ich“ verteidige ich mich schnell. „Na wenn du denkst, dass das klappt???“ Man muss nicht Gedankenlesen können, um zu wissen, dass sie das für ein bescheuertes Unterfangen hält.
Die anderen Kinder kommen nach und nach, Marco stellt sich gleich wieder neben mich und nimmt meine Hand, als wir beginnen zu singen. Beatrice hat recht. Das wird niemals klappen, dass er mich gehen lässt. Ich spüre meine Anspannung vom Zeh bis zum Kopf. Wieso klammert sich dieses Kind so an mich? Was habe ich denn falsch gemacht? Ich würde am liebsten schreiend weglaufen und verweigern, dass ich mit diesem Kind etwas zu tun habe, so unangenehm ist mir diese Situation.

Als die letzten Akkorde des Liedes gespielt werden merke ich, wie Marcos kleine Hand fester nach meiner greift. Ich spüre seine Angst. Wobei die sicher nicht so groß ist wie meine, dass er sein Versprechen von gestern über den Haufen werfen könnte. Verdammt, ich weiß schon jetzt, dass er sich nicht dran halten wird. Ach Manno, ich bin so genervt von dieser Gesamtsituation. Von dieser scheiß Beatrice die mich anschaut, als würde ich meinem Kind permanent Gewalt antun, von mir, dass ich nicht einfach souverän bleiben kann und mir sämtliche Beatrices der Welt mit all ihren bescheuerten Urteilen einfach egal sein können und vor allem aber von Marco, der mich dieser Schmach aussetzt, als so eine absolute Versager Mutter dazustehen. „Du bist vor allem herzlos“. Wie kannst du so genervt von deinem eigenen Kind sein, der da einfach steht mit seiner Schüchternheit und Zeit braucht, um anzukommen?!“ Na wunderbar. Nun schäme ich mich nicht nur vor Beatrice sondern auch noch vor dem Quälgeist.
Und das Schlimmste ist: alle haben sie recht. Ich, die große GFK Trainerin und schon immer geplante super Mami scheitere schon an der lächerlichen Herausforderung, mein Kind wie ungefähr 100 Millionen andere Eltern in einen Kindergarten zu bringen…
Nein verdammt! Heute werde ich nicht scheitern. Heute wird es funktionieren. Ist mir jetzt egal, ob Marco weinen wird oder nicht, ich werde gehen. Ich mache mich doch hier nicht mehr weiter völlig lächerlich. Ich werde Beatrice beweisen, dass ich auch klar sein kann und mich ganz sicher nicht von meinem 4 jährigen Sohn herum kommandieren lasse.
Das Lied ist vorbei. Beatrice wirft uns einen Blick zu, sieht, dass Marco immer noch meine Hand umklammert und wendet sich seufzend ab. Die hat uns schon aufgegeben, das ist klar. Jetzt muss ich schnell handeln. Ich kniee mich zu Marco, nehme seine Hände und schaue ihm fest in die Augen: „Marco mein Schatz. Wie wir vereinbart haben, ich gehe jetzt, du bleibst hier bei Beatrice und den anderen Kindern und nach dem Mittagessen hole ich dich wieder ab, okay?“. Marco schaut zu Boden. Ich spüre, wie es in ihm arbeitet. Er erinnert sich natürlich genau an das, was wir abgemacht haben. Dann schaut er zu Beatrice, die mit drei anderen Kindern dabei ist, das Klettergerüst vom Matsch der Nacht zu befreien. Dann wieder zu mir. Er will nicht, dass ich gehe, das sagt seine ganze Körperhaltung. Was ist denn nur los mit diesem Kind? Warum ist er so unsicher? Das geht mir so auf die Nerven! Im gleichen Moment schäme ich mich schon wieder für diesen herzlosen Gedanken. Und trotzdem: ich will einfach, dass das jetzt klappt. Ich will beweisen, dass ich das kann und Marco es kann und Beatrice einfach nicht recht hat mit ihrem fuck Urteil über uns.

„Na komm schon Marco. Das wird schön, du kennst doch schon alle hier und ich hole dich später ab“.
Heute klammert er sich nicht an mich. Aber die Tränen laufen ihm aus den traurigen Augen. Das ist fast noch schlimmer. „Wieso muss ich denn unbedingt allein hier bleiben?“ fragt er mich ganz leise.
„Weil… weil alle Kinder in den Kindergarten gehen“. Keine Wirkung. Das ist doch eine manipulative Frage! „Und ich auch mal meine Ruhe brauche!“ Das ist schon etwas härter. Ich merke, meine Geduld ist am Ende. „So Marco, jetzt reicht es auch. Du bleibst jetzt hier, so wie wir es besprochen haben. Da drüben ist Beatrice, die freut sich auf dich und ich fahre jetzt los“.
Ich rufe laut „Beatrice, ich bin los!“ Sie guckt erstaunt auf, in ihren Augen ein anerkennender Blick, wohl zum ersten Mal. „Okay. Bye bye! Marco komm zu mir!“ ruft sie und ich drehe mich um und schaue mich nicht mehr um. Ich höre Marco noch weinen und „Mama bitte bleib!“ rufen, aber schalte das einfach ab. Da muss er jetzt durch. Er wird es überleben. Als ich endlich im Auto sitze und die Tür zuknalle atme ich tief durch. Die Tränen laufen mir die Wange runter. Ich fühle mich so schlecht wie ich mich als Mama noch selten gefühlt habe.
Und natürlich meldet sich mein Quälgeist: Du weißt doch genau, dass das nicht stimmt wie du es gemacht hast. Du wolltest es nur Beatrice recht machen. Wozu??
Na das ist zumindest mal eine berechtigte Frage. Ja wozu? Ich kann es nicht sagen.
Ich kurbel das Fenster runter um zu hören, ob Josha immer noch schreit. Alles ruhig. Zumindest das… Ich fahre in den Park und setze mich dort in die Sonne. Mir ist immer noch schwer ums Herz und ich habe ein super schlechtes Gewissen.
Du darfst dich beruhigen. Es wird ihm nichts Schlimmes passieren und er wird dir auch verzeihen, dass du ihn dort gelassen hast, meldet sich endlich mal nicht der Quälgeist zu Wort, sondern seine gütige Schwester. Eine Stimme, die zwar viel seltene, aber wenn dann mit sehr viel Weisheit und Liebe zu mir spricht.
„Aber was doch durchaus bedauerlich ist und zwar vor allem für dich selbst ist der Punkt, dass du dich selbst sofort selbst verurteilst, wenn dein Kind sich nicht so verhält, wie deine Umwelt es erwarten. Also es kann ja sein, dass du diejenige bist die gerade nicht gut loslassen kann oder es liegt einfach auch an der etwas groben Art von dieser Beatrice. Fakt ist, dein Kind hat es gerade nicht so leicht damit, an diesem Ort zu bleiben. Und dieser Fakt, dass ihr zusammen nicht so funktioniert wie es erwartet wird und jemand da Urteile haben könnte, der löst ganz viel Stress in dir aus. Und dadurch wird alles recht knarzig und harzig. Warum ist es dir so wichtig, was Beatrice von dir denkt?

Ja. Gute Frage. Warum? Weil sie sonst meinem Quälgeist noch mehr Futter gibt, mich fertig zu machen.
Aber wenn ich dich mal wieder dran erinnern darf: der Quälgeist bist doch du selbst…flüstert die Stimme.
Ja, jetzt wird es ganz perfide. Ich will, dass mein Kind mich leicht gehen lässt, damit die Kindergärtnerin zufrieden ist und mir deshalb keinen Grund gibt, mich selbst zu beschämen.
Eigentlich sollte ich lauthals lachen so verrückt ist das. Aber mir laufen vielmehr schon wieder Tränchen die Wange runter. Es ist wirklich wirklich nicht leicht mit mir selbst zu leben…
So sitze ich da, gucke in die Wellen und bin mit dieser gewissen Sentimentalität. Irgendwann stehe ich entschlossen auf und rufe laut den Wellen entgegen: „Jetzt recht es aber!!!“
Morgen werde ich Beatrice sagen, dass ich entweder jetzt so lange Marco im Kindergarten begleiten darf wie ich es will oder ich nehme ich dort raus. Jawoll!
Nachtrag:
Diese Geschichte hat sich vor 10 Jahren real ereignet. Sie endete in der Tat so, dass ich meinen Sohn erst einmal ein paar Monate bei mir zu Hause gelassen habe. Danach kam er in einen anderen Kindergarten in dem er sich total wohl gefühlt hat. Inzwischen ist er 14 und hängt (für mein Mutterherz leider) ganz und gar nicht mehr an meinem Rockzipfel. (-;
Ich wollte diese Geschichte hier erzählen, weil so viele Eltern mit einer ähnlichen Erfahrung zu mir kommen. Immer fühlen sie sich schlecht, haben den Eindruck, verurteilt zu werden, machen sich vor allem Stress wegen der Urteile der Erzieher*innen und das wirkt sich dann natürlich auf ihr Sein mit den Kindern aus, die sie dann erst recht nicht gehen lassen wollen.
So etwas jedenfalls begegnet mir immer wieder
Bei sicher ebenso vielen ist es so, dass sie nach 6 Wochen Eingewöhnung und super liebevollen Erzieher*innen ihr Kind wirklich nicht loslassen können und dann Hilfe brauchen, darin zu vertrauen, dass die Kinder gut aufgehoben sind und sie ihnen das auch zumuten können.
Aber auch bei diesen Eltern ist das Wichtigste erst mal die Anerkennung dafür, dass es eben ein Lernprozess ist dieses Loslassen und Vertrauen. Bei dem Eltern Verständnis und Unterstützung brauchen und nicht Urteile.
Vor allem braucht es Offenheit, denn wir können nie von außen klar sagen, was der Grund ist,warum sich ein Kind nicht von uns trennen will. Spürt es unsere Angst? Fühlt es sich unwohl? Ist es in einer bestimmten Entwicklungsphase? Gerade wenn wir selbst nicht mehr klar sehen und fühlen können, um was es geht ist das immer ein Indiz dafür dass wir Unterstützung brauchen, also jemanden an der Seite, die uns hilft mehr zu spüren, was das Kind uns gerade sagen will.
